Mit Schwert, Stab, Pfeil und Bogen
»Das ist es also.« Fynth ging langsam auf das Portal zu, dessen violette Oberfläche in ruhigen Bewegungen zwischen der Umrahmung waberte. Ringsherum war es still und die Pforte strahlte Geborgenheit aus.
Fynth drehte sich zu Ellariana um. Seine Gesichtsmuskeln zuckten und die Augen schimmerten. Die Luft um ihn herum knisterte. Funken umgaben Fynth und mit der Veränderung der Umgebung drang ein stechender Schmerz in seinen Kopf ein. Polternd landete der Zauberstab auf dem steinernen Boden und kullerte in Richtung Portal. Er presste die Hände gegen die Schläfen, ging schnaufend auf die Knie und kippte einen Atemzug später zusammengekrümmt zur Seite. Fynth schrie auf und zog wie ein ängstliches Kind die Beine an. Das Knistern wurde lauter und verschluckte seine Schmerzensschreie. Eine weiße Aura strömte wie eine Sturmböe über seinen Körper und wirbelte das schulterlange Haar auf.
»Verdammt!« Ellariana sprang von Crius’ Rücken und sah sich rastlos um. Es war niemand in der Nähe, der Fynth mit Magie angegriffen haben konnte. Mit ausgestrecktem linkem Arm ging sie langsam auf ihn zu. Sie war noch drei Schritte von ihm entfernt, als sie das Kribbeln in den Fingerspitzen fühlte. Die Luft um ihre Hand herum begann zu flimmern. »Turma.«
Ein Lichtschild legte sich um Fynth, dennoch zuckte sein Körper unter der auf ihn einwirkenden schwarzen Magie.
»Asharel, wo bist du?«
»Hier.«
Ellariana blickte über die Schulter. Asharel stand innerhalb der Magiebarriere und hielt Fynths Stab in der Hand. »Fühlst du keine Schmerzen?«
Asharel sah an sich herab und runzelte die Stirn. »Nein, sollte ich?«
»Du musst ihn von dort wegbringen«, verlangte Ellariana.
»Zu dir?«
Sie sah von dem gekrümmten Fynth zum Portal. »Wir müssen wissen, was auf der anderen Seite der Pforte ist.« Ellariana atmete tief durch, bevor sie ihre endgültige Entscheidung traf. »Durchschreite mit ihm das Portal. Ich folge dir mit den Reittieren.«
»Auf dass wir uns auf der anderen Seite wiedersehen.« Asharel hielt ihr den Arm entgegen.
Kein Muskel bewegte sich in Ellarianas Gesicht, als sie den Kriegergruß stumm erwiderte.
Das violette Licht der Oberfläche reichte gerade aus, um Fynth, der am Boden lag, schemenhaft zu sehen. Asharel hatte den sich in tiefer Bewusstlosigkeit befindenden Fynth so weit wie möglich vom Portal weggetragen.
»Cala«, sagte Ellariana, dabei hob sie den Arm und formte mit den Fingern eine Schale. Die Luft knisterte, doch die erhoffte Sphäre entstand nicht über ihrer Handfläche. »Cala!« Wie zuvor kam die einzige Lichtquelle vom Portal.
»Das gefällt mir nicht«, raunte Asharel. »Der Magiepfad fühlt sich anders an als der von Fynth.«
»Dieser verbindet Welten. Wenn sich deine Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben, wirst du eine Begrenzung sehen.« Sie griff nach Asharels Kinn und drehte sein Gesicht zu sich. Einzelne Konturen wurden von dem violetten Schimmer erhellt. »Du bleibst in der Mitte des Pfades. Auf gar keinen Fall berührst du den unsichtbaren Schutzwall!«
In dem Moment kratzte etwas wütend an der Barriere. Asharel zog erschrocken die Luft durch die Nase ein und schielte in die sich bewegende Dunkelheit.
»In Ungnade gefallene Seelen wandeln als Bestien in der Düsternis. Wenn du ihnen zu nahe kommst, kann dich nichts mehr retten«, flüsterte Ellariana ihm mit dunkler Stimme ins Ohr. Asharels geweitete Augen bestätigten ihr, dass er verstanden hatte. Um ihn von den unheilvollen Gedanken abzulenken, küsste sie ihn auf die Wange und wandte sich sogleich Crius zu. »Würdest du Fynth tragen?«
»Solange er nicht redet«, spottete er.
»Keine Sorge, bis er erwacht, haben wir hoffentlich das Portal erreicht.«
Crius legte sich auf den Boden. Seine Schwingen streckte er nach hinten, damit Ellariana und Asharel den schlafenden Fynth mühelos auf seinen Rücken setzen konnten.
»Was machen wir?« Asharel berührte die rötliche Oberfläche. Sie fühlte sich warm an und die fließende Bewegung beschleunigte sich dort, wo sein Zeigefinger dagegen drückte. Er sah zu Ellariana, die neben Crius stand und dessen Kinn kraulte.
»Womöglich gibt es auf der anderen Seite eine weitere Magiebarriere«, vermutete Ellariana.
»Oder etwas uns nicht Wohlgesinntes.«
»Wir werden durchreiten. Was immer dahinter auf uns lauern könnte, wird nicht schnell genug sein, wenn wir sofort in die Luft steigen.«
»So machen wir es«, sagte Asharel und ging an Ellariana vorbei zu Aerowen, die knapp außerhalb des Lichtkegels stand.
Ellariana konnte sich wegen des vor ihr sitzenden Fynths nicht im Sattel umdrehen und wartete auf das Geräusch des knirschenden Leders. Beruhigend streichelte sie über Crius’ Hinterlauf, ihren rechten Arm hatte sie um Fynths Brustkorb geschlungen. Seine murmelnden Laute versprachen, dass es nicht mehr lange dauerte, bis er wieder zu sich kam. Ellariana hoffte, dass die bald auf sie einwirkende fremde Magie ihn nicht erneut in die Ohnmacht schickte.
»Turma«, hauchte sie. Wie bei der Lichtsphäre versagte ihre Macht, Magie zu weben, und der Schutzschild erschien nicht. »Was auch passiert, du zwingst Aerowen dazu, dass sie fliegt«, rief Ellariana in die Dunkelheit hinter sich.
»Dasselbe gilt für dich!« Ein Klicken erklang und danach hörte sie, wie sich die Bogensehne spannte.
»Auf dass uns nicht gleich ein Drache röstet«, sprach sie sich in Gedanken Mut zu. Ihre Schenkel drückten gegen Crius’ Flanken, woraufhin der Leopolo einen Satz nach vorne machte und durch die rote Oberfläche stürmte.
Ellariana ließ Crius erst anhalten, als das Stechen in ihren Fingern nachließ. Sie beugte sich zur Seite und sah herunter. Anders als auf Iasanara breitete sich unter ihr ein Wald aus. Es war nicht notwendig, auf der Lichtung, auf der das rötliche Portal stand, nach Spuren der Orks zu suchen. Die aufgewühlte Erde, die verbrannte Grasfläche und die Kratzer auf dem Gestein waren nicht zu übersehen. Zu gern wäre Ellariana näher herangeflogen, aber solange Fynth nicht vollständig erwacht war, wollte sie kein Wagnis eingehen.
Asharel landete auf dem Felsbrocken und fixierte mit der Pfeilspitze die Schatten zwischen den Bäumen. Hastig erkundete er die Umgebung, doch außer dem sich im Wind wiegenden Gras gab es keine Bewegung.
»Es stinkt nach Orks«, sagte Crius.
»Ich verstehe es nicht. Sind sie freiwillig mitgegangen, um in den Drachenmägen zu enden?« Gedankenversunken zwirbelte Ellariana eine Mähnensträhne zwischen Daumen und Zeigefinger.
»Es führen Spuren in den Wald hinein.« Asharel ritt auf die Waldgrenze zu. »Sie gleichen denen, die vom Orkdorf wegführten.«
»Folge ihnen. Ich werde weiter vorn wieder zu dir stoßen.« Ellariana wartete, bis Asharel zwischen den Bäumen verschwunden war, und flog mit Aiolos an ihrer Seite in die Richtung, die Asharel eingeschlagen hatte.
Der Sonnenuntergang stand kurz bevor, als sie endlich eine baumlose Stelle in dem dichten Wald fand. Nachdem Crius eine Runde darüber hinweggeflogen war, landete er im weichen Gras. »Wir werden hier die Mondwanderung verbringen.« Behutsam zog sie Fynth von Crius’ Rücken. »Zeige Asharel, wo wir sind«, bat sie den Leopolo und löste das Reitgeschirr.
»Ich bin bald zurück.« Crius hob konzentriert den Kopf und gleichzeitig zuckte seine Nase. Kaum hatte er Asharels schwachen Geruch gewittert, verschwand er zwischen den Bäumen.
Aiolos blieb neben Fynth stehen und bewegte die weichen Nüstern über sein Gesicht. Schnaubend pustete der Rovalroch die auf der Stirn klebende Haarsträhne nach hinten.
Erneut flossen murmelnde Worte über Fynths Lippen. Seine Augenlider flatterten und ein Ächzen entwich der trockenen Kehle. »Was ist geschehen?«, krächzte er.
»Es gab eine mächtige Magiebarriere vor dem Portal.«
Fynth drehte ihr seinen Kopf zu. Mit geschlossenen Augen wartete er, bis der letzte Schmerz so weit abgeklungen war, dass er wieder klar denken konnte. Er seufzte und drückte mit zwei Fingern gegen die Stirn. »Wie lange war ich bewusstlos?«
Ellariana setzte sich neben ihn. »Einige Schattenzyklen.«
»Wie kann es sein, dass ich auf Gras liege?« Zögerlich hob Fynth die Lider und blinzelte, bis die Tränen das Brennen in den Augen linderten.
»Wir befinden uns auf einer Lichtung«, erklärte sie und führte die Öffnung seines Trinkbeutels an die ausgetrockneten Lippen.
»Ein Wald in der Einöde?«
»Ja, also … eigentlich sind wir in der Welt der Drachen.«
Fynths Oberkörper schnellte in die Höhe und für einige Herzschläge drehte sich alles um ihn herum. Er streckte die Arme nach hinten, um sich abzustützen. »Wir sind auf Xandrian?« Seine Augen huschten neugierig über die Lichtung, doch außer den eng aneinanderstehenden Bäumen war nichts zu sehen.
»Die Orks sind durch das Portal gegangen«, erklärte Ellariana. »Es muss einen Grund geben, dass sie Iasanara verließen.«
»Wo ist Asharel?«
»Er folgt der Orkfährte. Ich habe Crius geschickt, um ihn zu uns zu führen.«
Erschöpft von den beunruhigenden Neuigkeiten hob Fynth den Arm in Richtung seines Sattels und flüsterte einen Befehl, aber die Taschen blieben verschlossen. Brummend wiederholte er die Worte. Das Ergebnis war dasselbe.
»Ich kann auch keine Magie mehr weben.« Ellariana stand auf und ging zu der Satteltasche. Zwinkernd warf sie Fynth den Beutel zu.
»Das gefällt mir nicht!«
»Es gibt noch etwas anderes, das dir nicht gefallen wird.«
»Und das wäre?«
Knackende Zweige ließen beide verstummen. Mit der Hand am Schwertgriff stellte sich Ellariana kampfbereit dem Ankömmling entgegen. Fynth kniff die Augen zusammen, als er versuchte, zwischen den Schatten der Bäume etwas zu erkennen. Das Geräusch wurde lauter und er sah, wie sich ein hellbraunes Geschöpf näherte. Sein angehaltener Atem strömte hörbar aus der Nase, als Crius und der hinter ihm reitende Asharel durch das Dickicht brachen.
»Ein Orkclan schleicht geräuschloser durch den Wald«, schimpfte Ellariana.
»Damit wir nicht von einem Magieschlag begrüßt werden, haben wir extra Lärm gemacht«, verteidigte sich Asharel. Ächzend dehnte er seinen Rücken und sah an Ellariana vorbei. Er erstarrte in der Bewegung und seine Gesichtsmuskeln verloren jegliche Spannung.
»Was ist?« Fynth, dem die vielsagenden Blicke, die Asharel und Ellariana gerade gewechselt hatten, nicht entgangen waren, brummte.
»Na ja … ah …« Asharel grinste so breit, dass die hintersten Zähne sichtbar wurden. »Jetzt sieht man es dir an, dass du der Älteste von uns bist.«
Verständnislos sah Fynth von Asharel zu Ellariana, die ihre Faust vor den Mund gelegt hatte und sich in die Daumenbeuge biss. Trotzdem entdeckte er die Belustigung dahinter. »Wovon sprichst du?«
Prustend trat Asharel näher. Zuerst dachte Fynth, dass er ihm über die Wange streicheln wollte. Stattdessen ergriff Asharel eine längere Haarsträhne und zog sie vor sein rechtes Auge.
Es vergingen einige Herzschläge, bis Fynth es bemerkte. Ungläubig zerrte er weitere Strähnen nach vorn. Egal ob das Haar über dem Ohr, am Hinterkopf oder am Schopf angewachsen war – alle waren sie weiß. »Wie kann das sein? Was habt ihr mit mir gemacht!«
»Wir?« Entrüstet baute sich Asharel mit in die Hüften gestemmten Händen vor ihm auf.
»Als ich das letzte Mal meine Haare gewaschen habe, waren sie noch schwarz!«
»Diese Haarpracht spiegelt dein Alter wider«, neckte Asharel ihn.
»Fynthoranius Maginius der Weise«, sagte Ellariana kichernd.
»Der Weiße, meinst du«, verbesserte Asharel sie.
Mit hochrotem Gesicht griff Fynth nach seinem Stab und fauchte Worte der Magie. Dabei führte er eine kreisende Bewegung in Richtung des johlenden Asharels aus.
Asharel sprang eilig zur Seite – grundlos, denn keine Magie verließ die Spitze des Stabes und auch das Knistern in der Luft blieb aus. Mit der Gewissheit, dass Fynth nicht mehr fähig war, Magie zu verwenden, verstummte Asharel. »Hat das Licht auch seine Magiegabe aus ihm herausgesaugt?«
»Ich glaube nicht. Es wird wohl diese Welt sein, die es uns nicht erlaubt, Magie zu weben«, beruhigte Ellariana ihn.
»Was machen wir, wenn wir auf die Orks stoßen?«
»Falls nötig, kämpfen.« Sie verzog ihre Lippen zu einer leidvollen Grimasse. »Mit Schwert, Stab, Pfeil und Bogen.«