Prolog - Edra i ando ab

»Naur Dram.« Rauschen erfüllte die Luft, kurz darauf zerriss ein Knall die Stille. Noch bevor Ellariana den Arm gesenkt hatte, standen die aufgetürmten Holzscheite lichterloh in Flammen. Funken stoben aus dem Feuer, die vom Wind verweht wurden. Sie blickte über die Schulter. Die ältesten Magieweber saßen auf einem Podium und unterhielten sich mit gedämpften Stimmen. Ihr Meister neigte den Kopf zur Seite, seine Lippen formten ein schmales Lächeln. Wie vereinbart schloss er einmal die Augen und erlaubte ihr dadurch, weitere Magie zu weben.
»Nen.« Aus dem Nichts erschien über dem Feuer ein Wasserstrahl, der erst versiegte, als die letzte Lohe erloschen war. Dunkler Rauch stieg von der Feuerstelle auf. Zufrieden, dass sie die benötigte Magie hatte beschwören können, stellte sich Ellariana mit dem Gesicht zum Podest.
Schwerfällig erhob sich die älteste Magieweberin von Senasir, dabei stützte sie die Hände auf die Armlehnen. Weißes Licht umgab die knochigen Finger. Die Luft knisterte und das Holz knirschte.
»Ersterkorene Kalia, auf dass Eure Magie über Senasir wacht«, sprach Ellariana die formelle Ehrenbezeigung unter Magiern aus. Gleich darauf wich sie zurück und strich die Falten der hellgrauen Robe glatt. Ihr Herzschlag beschleunigte und der Mund fühlte sich plötzlich unangenehm trocken an.
»Anwärterin Ellariana!« Kalia blieb an der Kante der obersten Stufe stehen. »Ihr seid von einer gelben Aura umrankt, die so hell ist wie die Sonne. Nur ein einziges Mal berichteten die Aufzeichnungen von einer Elbin, die diese Nuance ausstrahlte.« Sie klopfte mit dem Stab auf den Boden.
Die Erde begann zu vibrieren und ein dünner Riss entstand vor Ellarianas Füßen. Erstaunt betrachtete sie den unscheinbaren Trieb, der aus der Öffnung emporwuchs.
»Ihr habt uns gezeigt, dass Ihr zerstörerische Magie beherrscht«, sagte Kalia, »aber könnt Ihr auch diesen Setzling beim Wachsen unterstützen?«
Ellariana sah ihrem Meister in die Augen. Ihre Mundwinkel sackten schlaff nach unten, während sie ihn stumm um Hilfe bat. Doch anstatt die Ältesten darauf hinzuweisen, dass ihr die Magie des Entfaltens nie offenbart worden war, zuckte sein Kinn anweisend.
»Euer Zögern zeigt mir, dass Ihr kein Vertrauen in Eure Fähigkeiten habt«, fuhr Kalia fort. Ihre Enttäuschung, die deutlich im Stimmton mitschwang, drang wie eine Schwertspitze in Ellarianas Magen ein.
»Ersterkorene, ich lernte die letzten dreißig Winterkreisläufe, die Magie für Kampfgeschehen zu formen.«
»Wenn das so ist, könnt Ihr jetzt gehen.« Mit einer verachtenden Handbewegung deutete Kalia zur Felswand. An der nördlichen Seite klaffte eine dunkle Öffnung im hellen Gestein. Kopfschüttelnd wandte sie sich ab und schlurfte zum Platz zurück.
Ellariana senkte den Blick. Der Boden verschwamm vor den Augen, weswegen sie die Hände zu Fäusten formte. Um den Schmerz in der Brust zu überlisten, kratzte sie mit den Fingernägeln fest über ihre Handinnenflächen, dabei atmete sie schwer ein und aus. Nach mehrmaligem Blinzeln schärfte sich die Sicht, ohne dass eine verräterische Träne die regungslosen Wangen hinuntergekullert war.
Der Setzling neigte sich nach vorne. Hellgrüne Blätter färbten sich bräunlich und die Ränder rollten sich nach innen – der Verfall setzte bereits ein. Der kümmerliche Anblick tat Ellariana in der Seele weh und ihr eigenes Leid, durch Kalias harsche Worte entfacht, rückte in den Hintergrund. Als sie sich niederkniete und behutsam mit dem Zeigefinger über die verwelkte Spitze strich, knisterte die Robe. Die Fingerkuppe begann zu kribbeln und ein gelber Schimmer löste sich vom Finger. Er verteilte sich vom Stängel bis zu den dünnen Astspitzen und ein sachtes Rascheln erklang. Die vergilbten Blätter öffneten sich und das frische Grün kam zurück – dunkler als zuvor. Die Zweige knackten, streckten sich dem wolkenlosen Himmel entgegen, gleichzeitig wuchs das Pflänzchen und der fingerdicke Stamm nahm an Umfang zu.
Die Magie verschwand so schnell, wie sie gekommen war. Ellariana setzte sich auf die Fersen und starrte auf das Bäumchen, das nun eine Handlänge hoch war. Ihr rechter Arm fühlte sich taub an, nur langsam kam die Kraft mit pochenden Schmerzen wieder. Stöhnend neigte sie den Kopf nach vorne, sodass die silbernen Haare ihr Gesicht verdeckten. Sie presste die Lippen fest aufeinander, um den darauffolgenden Seufzer vor den Ohren ihres Meisters zu verbergen.
Das Getuschel der Ältesten vermischte sich mit dem Säuseln des Windes. Doch plötzlich übertönte ein klares Lachen unmittelbar vor ihr alle Geräusche. Ellarianas Herz führte einen Sprung aus. Sie hob den Blick und sah in die weißen Augen der Ersterkorenen. Kalia streckte ihr die Hand entgegen, die sie dankbar ergriff. Der starke Ruck kam unerwartet und bevor Ellariana es verhindern konnte, stolperte sie in ihre Arme. Kalias hellorange Aura umschloss sie sofort. Die kribbelnden Schauer, die ihren Körper erfassten, hörten gar nicht mehr auf.
Der warme Atem der Ersterkorenen streifte Ellarianas Hals, als sie ihr ins Ohr flüsterte: »Deine Bestimmung wird dir den Weg zeigen.«

                                                                                                                                         *** ** ***

»Tritt ein.«
Ungeachtet dessen, dass ihre Finger die Klinke fest umgriffen, zitterte Ellarianas Hand. Sie atmete tief durch die Nase ein, straffte die Schultern und öffnete die Tür. Obwohl sie den Ratssaal der Ältesten bereits unzählige Male zuvor betreten hatte, erwachte im Magen erneut das Gefühl, dass sie nicht würdig war. Ein Windhauch, der von dem geöffneten Fenster hinter ihr in den Raum wehte, wirbelte die losen Haarsträhnen hoch. Unsicher huschte ihr Blick über die Gesichter der Meister der Magie. Keiner offenbarte ihr mit einem Lächeln oder Zwinkern, dass ihre Sorgen unbegründet waren.
Die Kehle wurde mit jedem Schritt, der sie näher an die Meister brachte, trockener. Am Ende des grasgrünen Läufers kniete sich Ellariana mit gesenktem Haupt nieder. Ihre Augen fixierten das filigrane Muster, das die Webmeister in den Teppich eingewoben hatten. Die silbernen Fäden umschlossen die Ränder und ähnelten den Wappen der verschiedenen Fürstenhäuser. Ihr schnell schlagendes Herz beruhigte sich allmählich.
»Anwärterin, erhebe dich«, sagte ihr Meister. »Über dein Schicksal wurde einstimmig entschieden.«
Ellariana senkte demütig den Blick.
»Sobald der Neumond seine Wanderschaft beendet, wirst du ein Schiff besteigen, das dich nach Lunalir bringt.«
Ellariana schreckte zurück. Sie presste die Lippen fest aufeinander, dennoch war ihr heller Schrei gut hörbar. Ein Schatten huschte über das Gesicht ihres Meisters und seine Augenbrauen berührten sich fast, als er die Stirn kräuselte.
»Bevor die Weltenerbauerin Liastea uns verließ, erwählte sie uns Senasiren, um ihren Planeten zu hüten«, begann Kalia zu erzählen. »Nur Magiewebern mit gelben Auren ist es erlaubt, mit dem Seelenbaum Anamolies zu sprechen.«
Ellariana spreizte die Finger und betrachtete das sanft pulsierende Gelb. Ihre Zungenspitze benetzte die trockenen Lippen. Obwohl es im Grunde eine unaussprechliche Ehre bedeutete, dass die Magiemeister ihr dieses Vertrauen entgegenbrachten, beschleunigte sich Ellarianas Atmung. Kurz schwindelte es ihr.
»In Euch schlummert die Magie des Entfaltens«, begründete Kalia die Entscheidung. »Viele Hunderte von Winterkreisläufen sind vergangen, bevor die Seele der ersten Elbin, die Senasir zusammen mit der Weltenerbauerin verließ, wiedergeboren wurde.«
Mit zitternder Stimme fragte Ellariana: »Sendet Ihr mich alleine nach Liastea?«
»Ein Schwertmeister aus der Gilde en fean Magil wird Euch begleiten.«
Ächzend schüttelte sie den Kopf. »Kann es kein Krieger aus einer anderen Zunft sein?«
Kalia lachte wissend. »Sie haben nicht den besten Ruf, aber mit ihrem Schwerttanz kann sich niemand messen.«
»Bereite dich auf den Aufbruch vor. Verabschiede dich von Freunden und Familie«, empfahl ihr Meister und streckte die Hand in Richtung Tür.
»Ich hätte noch eine Frage.«
»Wir hören.«
»Muss ich für mein restliches Leben auf Liastea bleiben?« Ellariana ballte hinter ihrem Rücken Fäuste und drückte diese fest um die Daumen.
Die Magiemeister blickten sich an. In ihren Gesichtern war deutlich die Überraschung abzulesen. Einige nickten, andere schüttelten den Kopf. Alle murmelten durcheinander.
Kalia schloss die Lider und ihr Arm schoss gebietend nach oben. Augenblicklich kehrte die Ruhe zurück. Ein blendendes Licht löste sich von ihrer Stirn und schwebte auf Ellariana zu. »Es liegt alleinig an dir«, erklangen weiche Worte in ihren Gedanken. »Wenn Anamolies dich für würdig erachtet, gestattet er dir, Liastea zu verlassen.«
Ellarianas Augen weiteten sich, als sie begriff, dass die Weltenerbauerin gerade zu ihr gesprochen hatte. Die Sorge, die sich in ihr wie eine Sturmwelle ausgebreitet hatte, erlosch von einem Herzschlag zum anderen. Ellariana verbeugte sich und ein inniges Lächeln brachte ihr Antlitz zum Strahlen. Das Zittern war aus ihrer Stimme verschwunden, als sie Kalia versprach: »Ich werde Eure Erwartungen nicht enttäuschen.«

                                                                                                                                         *** ** ***

Mit geschlossenen Lidern atmete Ellariana die salzige Luft ein. Die vom Wasser heraufströmende Böe spielte mit ihren Haaren und einzelne Strähnen wirbelten um ihr schmales Gesicht. Das Rauschen der Brandung war bis hinauf zum Rand der Klippe zu hören. Durch das Krächzen der Seevögel bekam die Melodie des Meeres und des Windes einen gefahrvollen Ton.
Ein Brummen erklang neben ihr. »Sie sind weg.«
»Ich weiß.«
»Und sie kommen nicht zurück.«
»Ich weiß.«
»Auf was wartet Ihr dann?«
»Ich hoffte, dass man von hier oben Senasir sehen kann.«
»Natürlich.« Der Schwertmeister lachte. »Ihr habt wohl vergessen, dass wir fünf Sonnen- und Mondwanderungen mit dem Schiff nach Westen gefahren sind?«
Schnaubend zog Ellariana am rechten Zügel, bis sich die Stute von der Klippe abwandte. Die Ledertaschen hinter dem Sattel knirschten, während sie den steilen Abhang abwärts ritt.
Schneller als erhofft tauchte der Schwertmeister an ihrer Seite auf und Ellariana musterte ihn unauffällig. Das lange schwarze Haar hatte er streng mit einer weißen Kordel im Nacken zusammengebunden. Nicht eine Haarsträhne hatte sich durch den Wind gelöst. Seine kantigen Gesichtszüge strahlten etwas grimmig Entschlossenes aus. In der Tat, durch und durch ein wahrer Schwertmeister, wäre da nicht das hämische Grinsen, das auf den geschwungenen Lippen lag. Seine grauen Augen blitzten vor Vergnügen, da Ellariana einen Augenblick zu spät den Blick abwandte.
»Wie soll ich Euch ansprechen?«, fragte der Schwertmeister.
Ihre Augenbrauen schoben sich zusammen, wodurch dünne Falten über der Nase entstanden. »Lehrt man den Kriegern Eurer Gilde nicht, wie man Magiebegabte anspricht?«
Entrüstetes Brummen schlüpfte aus seiner Kehle. »Ich soll Euch weiterhin mit Hochgeborene anreden?«
Die Genugtuung, dem Schwertmeister dadurch aufzuzeigen, dass sie ihm durch den Rang der Fürstenhäuser überlegen war, schmeckte wie süßer Fion. Kurz kam Ellariana der Gedanke, ihm ihren Namen zu nennen, aber ihr Zögern legte er falsch aus.
»Wie Ihr wünscht, Hochgeborene.« Das Hohnlächeln war verschwunden, dafür mahlten seine Zähne gegeneinander. Mit tonloser Stimme fragte er: »Wohin darf ich EUCH begleiten?«
»Nach Liastea.«
»Ihr kennt den Weg?«
»Nicht genau«, gestand sie und zog die Landkarte aus dem runden Behältnis. Das Pergament knisterte, als Ellariana es entrollte.
Der Krieger stützte seine Hände auf den Sattelknauf und beugte sich vor. »Hmmm.«
»Wir müssen einen Magieknoten finden.«
»Sind sie auf der Karte vermerkt?«
Nachdem Ellariana vergeblich nach Hinweisen gesucht hatte, verneinte sie mit einem Kopfschütteln.
»Wenigstens bleiben uns nur drei Himmelsrichtungen, um einen zu suchen.« Seufzend stellte sich der Schwertmeister in die Steigbügel und blickte sich um.
»Wir sollten in die nördliche Richtung reiten«, sagte Ellariana.
»Spürt Ihr von dort eine Magieströmung?«
Ein Schulterzucken unterdrückte sie im letzten Moment, jedoch hatte ihr »ähm, ja« einen unsicheren Beiklang.
Der Schwertmeister neigte den Kopf zur Seite und sah mit verengten Augen in die Ödnis hinaus, die sich bis zum Horizont ausbreitete. »Seid Ihr Euch sicher?«
»Denkt Ihr, dass ich lüge?«
Anstatt zu antworten, wich der Schwertmeister ihrem Blick aus.
»Also Norden«, bestimmte Ellariana und schnalzte mit der Zunge, wodurch die Stute in einen leichten Trab fiel.

Das Lederband entglitt ihren Fingern. Mit einem dumpfen Laut landete der Beutel mit der Öffnung nach unten im weißen Sand. Ellariana sah über die Schulter. Wohin sie ihren Blick auch richtete, es gab nichts, außer im Mondlicht schimmernde Dünen. Nach der zweiten Sonnenwanderung hatten sie entschieden, die Suche während der Mondwanderung auszuführen.
Die Stute, die mit gesenktem Kopf hinter ihr her trottete, stieß Ellariana fast um. Seufzend begann sie das zerzauste Fell über den Nüstern zu streicheln. Sandstaub stob auf und kitzelte in ihrer Nase. Nach mehrmaligem Niesen wandte sie sich ab und starrte den steilen Hügel hinauf. Mit den Zähnen knirschend setzte sie kraftlos einen Fuß vor den anderen.
»Hochgeborene.«
Die Hand auf ihrer Schulter schreckte Ellariana aus den trostlosen Gedanken. Der Schwertmeister hielt ihr seinen Wasserbeutel entgegen. Das Lächeln wirkte aufmunternd und machte sein Gesicht unbeschreiblich anziehend. Obwohl ihre Entscheidung sie in eine entseelende Einöde geführt hatte, war keine einzige spitze Bemerkung von ihm zu hören.
»Trinkt.«
Dankbar nahm Ellariana den Beutel. Sein Gewicht und das fehlende Blubbern bestätigten ihr, dass der Vorrat so gut wie aufgebraucht war. Sie gierte danach, das Wasser vollständig auszutrinken, dennoch befeuchtete Ellariana nur ihre rissigen Lippen und die angeschwollene Zunge.
»Wir müssen weitergehen, die Sonne geht bald auf«, sagte er und zeigte nach Osten, wo die ersten Sonnenstrahlen sich bereits am Horizont abzeichneten.
»Ich kann nicht mehr.« Ellariana sackte in sich zusammen. Mit geschlossenen Augen streckte sie die Arme und Beine weit von sich. Die Finger gruben sich in den kalten Sand, als sie unverhofft ein leichtes Ziehen an der rechten Handfläche spürte. Ihre Lider sprangen auf, ruckartig setzte sie sich aufrecht und sah Richtung Westen. »Magie«, nuschelte Ellariana und kroch auf allen vieren die Düne hinauf. Erneut wühlten die Fingerspitzen im Sandboden – die Magie nahm an Kraft zu. Ein erregtes Lachen stieg in ihrer kratzigen Kehle auf. Sie schnellte hoch und kletterte nach oben. Das Schnauben der Pferde und das Ächzen des Schwertmeisters folgten ihr. Auf der Kuppe blieb Ellariana stehen.
»Ein Gebirge!«, rief er. »Höchstens zwei Mondwanderungen entfernt.«
»Und ein Magieknoten unmittelbar unter uns.«
Der Schwertmeister sah hinunter. »Könnt Ihr ein Portal öffnen?«
»Ich werde es versuchen.« Ellariana streckte die Handflächen in Richtung des Magiepfades und begann mit der Beschwörung. »Edra i ando ab Liastea.« Der Sand setzte sich in Bewegung, floss auf beiden Seiten der Dünenkuppe abwärts. Schabend wuchsen zwei schwarze Gesteinssäulen aus dem Boden. Die Erde bebte, als die Pfeiler sich miteinander verbanden und ein Portal formten. Ein quellklarer Schleier bewegte sich wellenartig von der Mitte aus. Obwohl die Sicht verschwommen war, erkannte Ellariana dahinter eine Waldlandschaft. »Wir haben es geschafft!« Sie klatschte in die Hände und sah lächelnd zum Schwertmeister.
In seinem Gesicht suchte sie die Erleichterung vergebens, die ihr Herz bis zum Hals schlagen ließ. Stattdessen überschattete der unübersehbare Zweifel an der Magie seine Gesichtszüge.
Ermutigend klopfte Ellariana auf seine Schulterpanzerung. »Das Durchschreiten schmerzt nicht.«
Er knurrte empört. »Es fühlt sich falsch an.«
»Ich werde keinen weiteren Schritt in dieser Einöde gehen.«
»Das Gebirge hier ist echt. Das Abbild des Waldes könnte eine Falle sein.«
Sie starrte ihn mit offenem Mund an. »Wir haben kaum noch Wasser!«
»Ihr könntet mit Magie welches erschaffen.«
Ellariana schüttelte den Kopf. »Wenn es so einfach wäre, hätte ich schon längst die leeren Beutel gefüllt.«
»Trotzdem.« Der Schwertmeister legte die Hände um ihre Oberarme. »Das Portal strahlt nichts Gutes aus.«
»Ein Schwerttänzer der Gilde en fean Magil, der vor ein wenig Magie Angst hat.« Sie lachte krampfhaft laut auf. »Der wahre Grund, warum man Euch fortschickte, war wohl, dass Ihr ein Feigling seid und kein ehrenvoller Krieger.«
Die Miene des Schwertmeisters gefror. Seine Augen verengten sich und der rechte Mundwinkel hob sich so weit, dass seine strahlendweißen Zähne hervorblitzten. Das Grollen aus der Kehle ähnelte dem einer Raubkatze. Für ein paar Atemzüge verschwand jegliche Farbe aus seinem Gesicht. Er schluckte mehrmals, dennoch wechselte die fahle Hauttönung zu einem kräftigen Rot. Seine Wangen glühten wie der Sonnenuntergang über dem Gebirge in Senasir. Der Schwertmeister löste die Finger von ihren Armen, trat einen Schritt zurück und nickte in Richtung Portal. »Besser Ihr geht, ehe ich mich vergesse.«
»Was will ein geringwertiger Schwertkämpfer schon gegen eine Magieweberin ausrichten?«, provozierte Ellariana weiter.
»Wenn Ihr nicht sofort verschwindet, dann …« Er verstummte und kniff die Lippen zu einem Strich zusammen.
»Ich werde das Portal nicht zerstören. Folgt mir, sobald Ihr Euren Mut wiedergefunden habt.« Ellariana griff nach dem Lederriemen der Stute. »Zurück nach Senasir könnt Ihr jedenfalls nicht mehr, ohne Euer Gesicht zu verlieren.«
Bevor sie mit ihrem Pferd den Portaleingang durchschritt, sah sie über die Schulter. Der Schwertmeister hatte sich von ihr abgewandt. Sein Blick ruhte auf der Bergkette und die Kieferknochen bewegten sich unruhig.
»Ich werde bis zur nächsten Mondwanderung auf Euch warten«, versprach Ellariana. Die fließende Oberfläche legte sich wie eine kühlende Schicht über die sonnenverbrannte Haut und der Juckreiz schwächte sofort ab. Ihre Füße versanken im weichen Waldboden und sie atmete mit halbgeschlossenen Lidern die frische Luft ein. Es roch nach Laub, Gras und nasser Erde. Das liebliche Gezwitscher der Singvögel zauberte ein Strahlen auf Ellarianas Gesicht.
Die Sorge des Schwertmeisters war unbegründet gewesen. Um ihm zu zeigen, dass es keinen Anlass gab, nicht hindurch zu gehen, drehte sich Ellariana zu ihm um. Als er in ihre Richtung sah, neigte sich sein Kopf zur rechten Schulter. Sein Mund formte ein schwermütiges Lächeln, während er auf Ellariana zuging.
Plötzlich ertönte ein Donnern. Dort, wo noch vor einem Wimpernschlag das Portal gestanden hatte, breitete sich eine Lichtung aus. Ellariana stürzte nach vorn. »Edra i ando ab …« Sie verstummte, obwohl sie den Magieknoten spürte. Es war ihr nicht möglich, erneut eines zu formen, da sie nicht wusste, wo genau sie eigentlich den Schwertmeister zurückgelassen hatte.