Prolog – Fynthoranius

Iasanara trat von der Wand zurück und sah zu den drei Fenstern hoch, die den Seelenverbundenen das Geheimnis des Turms offenbaren würden.
»Tuia.« Schleifende Laute füllten den Raum aus, als sich der Steinboden über die nach unten führende Treppe schob. Stille setzte ein und die Öffnung war verschwunden. Ein Lächeln umspielte ihre zartroten Lippen, während sie den Boden auf Risse oder Farbunterschiede absuchte, die womöglich den Zugang verraten würden.
In dem Moment, in dem sie ihre Augen erneut auf die Glasscheiben richtete, brachen die ersten Sonnenstrahlen hindurch. Auf der nördlichen Wand erschien eine Waldlichtung in einer Mondwanderung. Verschiedene Sternenbilder funkelten auf dem dunkelblauen Firmament.
»Edra.« Iasanara legte ihre Hand auf den strahlendsten Stern im Zeichen des Kriegers, damit sich der Steinboden durch das Wort der Magie auftat, falls ein Seelenverbundener diesen berührte.
Sie wischte mit der Hand über das Firmament und flüsterte: »Delia.« Die Sterne verschwanden und nur das Bildnis der Lichtung blieb bestehen. Dadurch wollte die Weltenerbauerin sichergehen, dass die Sternenzeichen erst erschienen, wenn ein Seelengefährte davorstand.
Iasanara drehte sich ein letztes Mal im Kreis, bevor sie den Umhang über ihre Schulter legte und durch die Tür schritt. Noch war der Turm leer, aber nach der Rückkehr mit dem Magier würde der Raum nicht wiederzuerkennen sein.

Mit in den Nacken gelegtem Kopf genoss Iasanara die Sonne und den Windhauch, der durch ihr Haar fuhr. Wie Flaumfedern liebkosten die Sonnenstrahlen ihre Wangen und verliehen der Haut ein glimmerndes Aussehen.
Eilige, knirschende Schritte näherten sich. Obwohl sie weiterhin die Augen geschlossen hielt, verbeugte sich Karth vor ihr. »Weltenerbauerin, du bist zurück.«
Stumm seufzend wandte sie ihm das Gesicht zu. »Großmeister, es ist schön, wieder auf Vilor zu sein.«
»Wir sollten einen Spaziergang machen«, schlug Karth vor und reichte ihr den Arm.
»Wie viel Zeit ist seit unserer letzten Unterredung vergangen?«
Der Großmeister blickte zur Sonne und murmelnde Laute strömten aus seiner Kehle. »Kurz danach nahmen wir neue Novizen auf«, überlegte er. »Das war vor nicht einmal einem Winterkreislauf.«
Schwer ausatmend verlangsamte die Weltenerbauerin ihre Schritte. Ihre Augen weiteten sich, als sie die Zeit auf Iasanara abschätzte. »Unglaublich, auf der erschaffenen Welt sind fünfhundert vergangen.«
»Wie ist sie geworden?« Karth rieb sich aufgeregt die Hände. »Ich würde so gerne eine deiner Schöpfungen sehen.«
»Es kam zu einer Unstimmigkeit mit dem Schicksalsweber«, räumte Iasanara beschämt ein.
»Suchst du mich aus diesem Grund auf?«
Die Weltenerbauerin zuckte schuldbewusst zusammen. »Lass uns hier die Sonne genießen«, sagte Iasanara und nahm auf einer steinernen Sitzbank Platz.
Nicht weit von ihnen entfernt erblickte sie einige Novizen, die sich um einen Apfelbaum versammelten. Grölen, Flüche und anspornende Rufe gellten zu ihr herüber. Sie beugte sich nach vorn und begann mit dem Daumen den Nagel des kleinen Fingers zu schnippen.
Karth strich ihre Haare, die das Gesicht verbargen, auf den Rücken und beobachtete das Zucken von Iasanaras leicht rötlichen Wangen. »Wir können den Novizen stumm bei ihrer Mutprobe zusehen oder du erzählst mir, was vorgefallen ist.«
»Liastea erschuf einen Seelenbaum.«
»Das ist nicht wahr!«
Nickend fuhr Iasanara fort: »Deswegen überredete sie unsere Brüder und mich, dass ihre Geschöpfe auf meiner Welt leben sollten.«
Ausgelassenes Lachen unterbrach die Weltenerbauerin und sie sah neugierig zu den Novizen hinüber. Eine dürre Gestalt hing mit ausgestreckten Armen am untersten Ast und zog sich gerade hoch.
Kopfschüttelnd sprach sie weiter: »Der Schicksalsweber erzürnte dermaßen über diese Entscheidung, dass er eine Prophezeiung für die unschuldigen Geschöpfe aussprach. Uns wurde erlaubt, Schriften zu hinterlassen.«
»Lass mich raten«, unterbrach Karth. »Du bist gekommen, um die Verpflichtung, über dein Wissen zu wachen, in die Obhut eines Magiers zu legen.«
»Dieser Gedanke kam mir tatsächlich«, gestand Iasanara.
Karths Augen blitzten auf, nachdenklich sah er zu den Novizen hinüber.

*** ** ***

»Steh auf, du Feigling!«
Fynth saß mit dem Rücken gegen den Stamm gepresst und hob den Kopf. Er blickte durch die lichte Belaubung und entdeckte die Baumkrone. Der Ast, auf dem er saß, war so breit wie sein Oberschenkel. Fluchend sah er nach unten. Die anderen Magieranwärter standen rund um den Baum und lachten wegen seiner unübersehbaren Panik.
Der Wind frischte auf und wehte durch das Blätterdach. Ein rötlich schimmernder Haarschopf lenkte ihn kurz von der Höhe ab. In Taghas Gesicht spiegelte sich seine Angst wider, dennoch lächelte die Novizin zu Fynth hinauf und nickte ermutigend.
»Halte dein Versprechen!«, rief ein Jungmagier. »Bring meiner Gefährtin den am höchsten gewachsenen Apfel.«
Fynth knurrte, als sich der Jungmagier neben Tagha stellte und seinen Arm um sie legte. Schwer ein- und ausatmend betrachtete er den Ast. Am Ende, das nur mehr so breit wie sein Oberarm war, hing in Reichweite ein feuerroter Apfel. Seit Fynth die Frucht das erste Mal gesehen hatte, verglich er sie mit Taghas Strubbelmähne. »Hätte ich bloß nichts gesagt«, raunte er.
»Fynth, komm runter! Ich glaube dir auch so, dass du mutig bist«, erklang Taghas Stimme dumpf in seinem Kopf.
Ihre gut gemeinten Worte schürten sein Unterlegenheitsgefühl noch mehr, doch sein resignierendes Seufzen wurde vom Johlen der anderen verschluckt. Zähneknirschend senkte er die Augen und als sich Pazars und sein Blick kreuzten, zog der Jungmagier Tagha zu sich und küsste sie.
»Ich habe ihr den Apfel versprochen.« Trotzig richtete sich Fynth so weit auf, dass er die linke Hand auf den sich über ihm befindenden Ast legen konnte. Er kniff den Mund zu einem dünnen Strich zusammen und setzte unsicher einen Fuß vor den anderen.
Sofort erklangen einige von seinem Scheitern überzeugte Rufe, doch Fynth konzentrierte sich nur auf seine Freunde, die ihn ermutigten, weiterzugehen. Seine Wangenmuskeln zuckten vor Nervosität und in Gedanken tadelte er sich bei jedem Schritt, dass er wieder mal seinen Mund nicht unter Kontrolle gehabt hatte und auf Pazars Provokation eingegangen war.
Der Apfel war nur mehr zwei Armlängen von ihm entfernt, als sich der Ast bedrohlich neigte. Sein Herz vollführte bange Sprünge und obwohl Fynth hektisch die kühle Luft einatmete, verstärkte sich das Gefühl, dass jemand seinen Brustkorb zusammenpresste. Er verharrte auf der Stelle und lauschte auf die Geräusche des Baumes. Plötzlich knirschte es über ihm, aber, und das fand er viel bedenklicher, auch der Ast, auf dem er stand. Seine Knie schlotterten und die Augen weiteten sich, als der Zweig sich weiter bog und das Knacken zu einem Krachen wurde – der Ast unter ihm brach.
Von einem Atemzug auf den nächsten wurde es still und nur das Knarren des Zweiges, an dem er sich festhielt, war zu hören. Zu seinem Entsetzen bemerkte Fynth, wie seine Finger an der rauen Rinde Stück für Stück abrutschten. Ein entschlossenes Grollen bahnte sich den Weg aus der Kehle und er versuchte, mit der linken Hand nachzugreifen. Doch es war bereits zu spät. Fynth verlor den Halt und stürzte mit dem Rücken voran vom Baum. Taghas und sein Angstschrei vermischten sich zu einem Laut.
»Putta«, brüllte Fynth. Die Luft knisterte, kaum dass er das Wort der Magie, das ihm mit einem Mal in den Sinn kam, ausgesprochen hatte. Einige schwarze Haarsträhnen berührten bereits den Boden, als der Sturz stoppte.
»Fynthoranius!«
Die seinen Namen rufende Stimme löste Fynth aus dem Stillstand und bevor er es verhindern konnte, schlug sein Rücken endgültig auf dem Boden auf. Mit einem Pfeifen wich die Luft aus seinem Leib und er drehte sich schwer atmend um. Den Kopf gesenkt verharrte er auf allen vieren und schielte zu den Freunden hinüber, die wie er knieten.
»Großmeister Karth, ich habe Euch von da oben gar nicht kommen sehen.« In mäßigem Tempo hob Fynth das Gesicht und sah sich einer Fremden gegenüber, deren kieselgraue Augen ihn unverhohlen musterten. Etwas in ihrem Blick schnürte ihm die Kehle zu. Das Blut jagte durch seinen Körper und brachte die Ohren zum Klingen.
»Fynthoranius … Erm …« Sie legte den Zeigefinger auf Fynths Stirn. Ein Summen beruhigte seinen Herzschlag und zog die Seele des Novizen in die Finsternis. »Keine Angst, junger Magier«, erklang ihre Stimme in seinen Gedanken wie ein Glockenspiel. »Ich möchte nur dein wahres Ich sehen.«
Fynth drehte den Kopf nach links. »Wer seid Ihr?«
»Einst erhielt ich den Namen Iasanara.«
»Du … Ihr … seid eine Weltenerbauerin.«
»Komm ins Licht.«
»Ich sehe kein …« Bevor Fynth seinen Protest aussprechen konnte, erschien eine Blumenwiese vor ihm. Die Blüten bewegten sich in der sanften Brise und verströmten einen lieblichen Duft. Er schloss die Augen, um den unbekannten Geruch besser ergründen zu können.
»Darf ich?« Ohne auf eine Antwort zu warten, legte Iasanara die Handfläche auf seinen Brustkorb. Das Herz begann hart zu pochen, als die Aura des Novizen aus dem Seelenkörper floss. »Das habe ich mir gedacht.«
An der Stelle, an der sich die Auren berührten, knisterte die Luft. Eine Hitzewelle wallte durch Fynth, seine Beine gaben nach und die Wiese wich einer undurchdringlichen Dunkelheit.

*** ** ***

»Ist dir der Schicksalsweber ein weiteres Mal erschienen?«, fragte Karth und öffnete mit einer beiläufigen Bewegung die Fenster durch Magie. Der frische Luftzug brachte einen blumigen Duft und das Tschilpen eines Singvogels mit sich. Die weißen Stoffbahnen blähten sich auf und durch die hereinflutenden Sonnenstrahlen schimmerten die grauen Steinplättchen von Iasanaras Robe.
»Er sprach davon, dass er meine Brüder aufsuchen würde.« Sie wandte sich von der beruhigenden Aussicht auf den blühenden Garten des Magierkonvents ab und sah zu dem schlafenden Novizen. »Wenn ich daran denke, dass die Völker, die Liastea und ich erschaffen müssen, nur für seine Belustigung gedacht sind, dann …« Iasanara biss sich auf die Zunge und atmete schwer aus und ein.
»Wahrscheinlich sprach der Schicksalsweber nur im Zorn und es wird nie zu einem Vorstoß seitens der Dämonen oder Drachen kommen.«
»Du hast seine Augen nicht gesehen«, widersprach die Weltenerbauerin. »Nein, der Gedanke an das bevorstehende Gemetzel hat ihn regelrecht beflügelt.«
»Wirst du oder Liastea eingreifen?«
Sie lachte hell auf. »Und seinen Zorn auf uns ziehen?« Iasanara schüttelte kurz den Kopf. »Nein, meine Geschöpfe sind für mich zwar wie Kinder, doch ich bin nicht bereit, mein Leben für sie zu opfern.«
Karth massierte seinen Nacken und sah zur Decke hoch.
»Aber wir werden versteckte Zeichen hinterlassen. Es liegt an den Geschöpfen, diese zu verstehen.«
»Und du bist dir sicher, dass Fynth der Richtige ist?«
»Ja, seine Aura zeigte mir, dass es seine Bestimmung ist.« Iasanara trat näher an Fynth heran. Ihre Fingerspitzen fuhren von der Mitte der Stirn den Nasenrücken hinab, folgten der Vertiefung auf der rechten Wange und verharrten auf den geschlossenen Lippen.
»Er hat die Ausbildung noch nicht abgeschlossen.« Karth schnaubte verärgert. »Außer dem Binden von Büchern wird den Neulingen im ersten Winterkreislauf nichts gelehrt.«
»Trotzdem hat er mit Magie den Sturz aufgehalten.«
Karth grummelte. »Er stammt nicht einmal von einer alten Dynastie ab.«
»Fynthoranius wird durch mein Wissen die Worte der Magie lernen.« Iasanara drehte dem weiterhin argwöhnischen Großmeister das Gesicht zu.
»Die Meister beschwerten sich des Öfteren wegen ihm«, gestand Karth. »Er befolgt keine Regeln und ist von sich selbst so überzeugt, dass er bereits mehr Strafen abarbeiten musste als eine ganze Novizengruppe in einem Winterkreislauf. Wir finden sicher jemand Verantwortungsvolleren für die Aufgabe.«
»Karthoranius«, schnaubte die Weltenerbauerin.
Der Großmeister zuckte mit den Schultern. »Ich habe dich gewarnt.«
»Vertrau mir, dieser Novize wird die ihm übertragene Pflicht mit Leichtigkeit erfüllen.«
Kopfschüttelnd senkte Karth den Blick auf Fynths Gesicht. »Wann wirst du mit ihm aufbrechen?«
»Um ihm zu zeigen, dass er mir vertrauen kann, wird er das entscheiden.« Iasanara hauchte einen Kuss auf Fynths Lippen. »Du kannst jetzt die Augen öffnen.«
Zusehends verfärbten sich seine Wangen dunkelrot. »Ahhh.« Stammelnd stützte sich Fynth auf den Ellbogen auf.
»Was hast du gehört?«, fragte Karth entrüstet.
»Ahhh.« Fynth blickte vom Großmeister zu Iasanara. »Alles.«
»Warum hast du dich nicht zu erkennen gegeben?«
»Na ja, Ihr habt über mich gesprochen, da habe ich wohl das Recht, zu erfahren, was …«
Die restlichen Worte gingen in Iasanaras lautstarkem Lachen unter und Tränen sammelten sich in ihren Augen. »Ich verstehe jetzt deine Befürchtung«, gab sie zu und legte die Hand auf Karths Schulter. »Also, Fynthoranius, wann brechen wir auf?«
Fynth kaute auf seiner Unterlippe herum und einzig der daraus entstehende schmatzende Laut unterbrach die Stille. »Wann kann ich wieder zurückkehren?«
Iasanara ächzte verlegen, bevor sie ausweichend antwortete: »Wenn du deine Aufgabe erfüllt hast.«
»Dann sollten wir sofort aufbrechen«, bestimmte Fynth. »Und wenn Ihr mich Euer Wissen über Magie gelehrt habt, komme ich zurück und Tagha wird mich, den besten von allen und zukünftigen Erzmagier, als ihren Gefährten erwählen.« Begeistert sprang Fynth vom Schlaflager hoch und räumte die wenigen Habseligkeiten aus dem Schrank. Die Blicke, die sich Iasanara und Karth zuwarfen, blieben ihm verborgen.

Die schwarzen Mauern des Turms strahlten trotz der durch die Sonne aufblitzenden Kristalle etwas Unheilvolles aus. Fynth blickte über die Schulter und sah anstatt der Silhouette des Magierkonvents den Rand der Lichtung. Bäume und dichte Büsche bildeten eine scheinbar undurchdringliche Grenze.
»Warum hast du dieses Aussehen gewählt?«, fragte Iasanara.
»Aussehen?«
»Als ich deine Seele berührte, sah ich deine wahre Gestalt.«
Aufgewühlt knetete Fynth die Hände vor seinem Bauch und sah zu dem dichten Waldrand hinüber. »Der Magier, der meine Eltern überzeugte, dass mir ein großes Schicksal bevorsteht, gab mir eine Abbildung und trug mir auf, mein Äußeres zu verändern.«
»Lebt der Magier auf Vilor?«
Nach kurzem Überlegen schüttelte Fynth den Kopf.
»Hast du ihn jemals wiedergesehen?«
»Nein.«
»Sagte er dir seinen Namen?«
»Ahh – nein.«
»Wie sah er aus?«
»Er war größer als Ihr. Das schulterlange Haar hatte dieselbe Farbe wie die Sonne.«
»Formte sich sein Körper aus Licht?«
Zögerlich nickte Fynth. »Seine roten Augen werde ich nie vergessen.«
Schreckensbleich wich Iasanara zurück und murmelte: »Der Schicksalsweber.«
Falten zeichneten sich auf Fynths Stirn ab. Sein lebhafter Gesichtsausdruck nahm harte Züge an, als ihm bewusst wurde, dass der Schicksalsweber gezielt in seine Bestimmung eingegriffen hatte. Durch den ihn beherrschenden Ehrgeiz, ein Großmagier zu werden, hatte er bis jetzt nicht über die Auswirkungen auf sein Leben nachgedacht. Das Portal zurück nach Vilor hatte sich aufgelöst und würde sich erst wieder öffnen, wenn er die unbekannte Aufgabe bewältigt hatte. Zweifel machten sich in Fynth breit.
»Es besteht kein Grund zur Sorge«, beruhigte die Weltenerbauerin ihn. »Auserwählten steht ein ruhmreiches Leben bevor.«
»Wie lange muss ich hierbleiben?«
»Die Zeit vergeht auf Iasanara um ein Vielfaches schneller. Du solltest innerhalb von zweitausend Winterkreisläufen …«
»Zweitausend Winterkreisläufe?« Fynth sprang zurück. Der Beutel auf seinem Rücken landete polternd auf dem Boden.
»Auf Vilor vergehen gerade einmal vier. Deine Freunde stünden kurz davor, in die Magiergilde aufgenommen zu werden.«
»Was wird meine Aufgabe sein?«
»Zuerst musst du einen Schwur ablegen«, verlangte Iasanara.
»Davon war keine Rede. Was ist, wenn ich nicht will?«
»Sprich mir einfach nach!«
Fynth presste fest die Lippen aufeinander und starrte ihr in die Augen. Das aufsässige Murren war fast nicht zu hören. Iasanaras graue Augen verschmälerten sich und ihre Gesichtszüge nahmen eine unbarmherzige Härte an. Fynth gelang es nur für wenige Atemzüge, einen stillen Kampf auszufechten. Klein beigebend wandte er den Blick ab.
Die Weltenerbauerin nickte zufrieden und sagte: »Ich, Fynthoranius, gelobe hiermit, dass ich über das Wissen der Weltenerbauerin Iasanara mit meinem Leben wachen werde.«
Fynth wiederholte ohne weiteres Aufbegehren den Eid.
Iasanara öffnete das Turmtor, bevor sie weitersprach: »Und den Seelenverbundenen helfen werde, die Prophezeiung umzulenken.«
»Warte, welche Prophezeiung?«
»Wiederhole die Worte!«
Fynth zog die Augenbrauen zusammen, dennoch sprach er widerwillig das Gelübde nach.
»Sowie die Magie, die ich durch Iasanaras Wissen erlerne, nur für das eigene Wohlbefinden einsetze, wenn die Abwendung der Prophezeiung dadurch gefährdet wäre.«
»Auf gar keinen Fall werde ich diesen Unsinn schwören«, widersprach Fynth und stemmte die linke Faust in die Hüfte. Die Luft knisterte und im nächsten Moment fand er sich auf dem Boden wieder. Flammen züngelten über den Körper und verzehrten die Kraft seiner Aura. Wimmernd zog Fynth die Beine an und umschlang mit den Armen die Knie.
»Vergiss nicht, wer vor dir steht!«
»Aufhören! Bitte! Ich sage es ja.«
Iasanara führte eine verächtliche Handbewegung aus. Der Schmerz verschwand und Fynths Aura verheilte, noch bevor er das Gelübde ausgesprochen hatte.
»Was geschieht, wenn ich meinen letzten Schwur breche?«
»Das durch Magie verhinderte Ereignis wird sich dennoch erfüllen«, erklärte Iasanara. »Nun, Novize, tritt ein und werde ein Magier.«
Skeptisch neigte er den Körper nach vorne. Seine Augen huschten von den beiden Tischen zu dem Schlaflager und blieben an der Kochstelle hängen. Schulterzuckend drehte er den Kopf zu Iasanara. »Wie kann ich in einem leeren Raum ein Magier werden?«
Schmunzelnd deutete Iasanara mit dem Kinn in den Turm hinein. »Schau!«
»Das …«
»Bis die Prophezeiung ausgelöst wird, ist es deine Aufgabe, mein Wissen in Bücher zu binden. Je mehr du davon bindest, umso größer wird deine Macht sein, Magie zu weben.«
Fynth stolperte zurück. Der zuvor leere Raum war mit unzähligen Stapeln von losen Blättern gefüllt, die ihm bis zu den Schultern reichten, und an den Wänden standen bis zur Decke hohe leere Regale. Von der Tür aus ging eine schmale Gasse bis zu den zwei Tischen und gabelte sich dort, damit er das Schlaflager und die Kochstelle erreichen konnte.